Der Herr gibt’s, der Herr nimmt’s
A Serious Man von den Coen-Brüdern
Seitdem ich WhatsApp nutze, habe ich dort als Statusmeldung „Just look @ th@ parking lot 🙈“, was vermutlich den meisten meiner Kontakte nicht unmittelbar etwas sagen wird und bisweilen Rückfragen provoziert. Es handelt sich dabei um ein Zitat aus einem meiner – wie ich nach erneutem Wiedersehen vor kurzem ohne Weiteres sagen kann – absoluten Lieblingsfilme: A Serious Man von den Coen-Brüdern. Dieser Film genießt für mich also denselben Status wie der ebenfalls schon an dieser Stelle von mir besprochene Darjeeling Ltd. von Wes Anderson. Was beide Filme verbindet (und durch die hier eingestandene Neigung sicherlich Aufschluss über meine charakterliche Disposition zulässt) ist ihr gelungener Brückenschlag zwischen Komik und Tragik, der sie zu Allegorien des Lebens mit all seinen Facetten macht, wo eben viele Situationen uneindeutig sind und die Komplexe von Familie, Liebe, Sex und Tod in völliger Banalität nebeneinanderstehen und es oftmals ein weinendes und ein lachendes Auge zugleich geben kann.
Wofür steht nun der Parkplatz, von dem in dem Zitat die Rede ist? „Just look at that parking lot“ ist die Quintessenz der Empfehlung, die ein Rabbi der Hauptfigur des Films gibt, als dessen mittelständische Musterexistenz im kleinbürgerlichen Idyll der amerikanischen Suburbia Ende der 60er Jahre mit einem Mal auf der Kippe steht und er eine nicht enden wollende Reihe von Schicksalsschlägen hinnehmen muss, die alle vermeintlichen Gewissheiten plötzlich so sehr in Frage stellen, dass er Antworten sucht und dazu den Rat des Seelsorgers seiner Gemeinde. Nicht nur, dass Larry von den Eskapaden seiner pubertierenden Kinder auf Trab gehalten wird, ihm außerdem sein tendenziell soziopathischer Bruder für unabsehbare Zeit auf der Tasche liegt und er sich dem Bestechungsversuch eines seiner Studenten ausgesetzt sieht, der seine ungenügenden Mathekenntnisse mit Papas Brieftasche ausgleichen möchte – zu allem Übel offenbart ihm seine Frau dann auch noch, dass sie die Scheidung will, um mit dem unsäglich mitfühlenden Nachbarn Cy Abelman („Das muss dir jetzt nicht unangenehm sein, Larry“) ein neues Leben zu beginnen. Und als ob das nicht schon mehr als genug wäre, passiert dann auch noch, was Larry aller Wahrscheinlichkeit nach insgeheim wünscht, ohne es zu wünschen wagen zu dürfen: Der unliebsame Rivale Cy erliegt einem Herzinfarkt – aber das macht natürlich überhaupt gar nichts besser.
Als Larry in seiner Not den Rabbi aufsuchen möchte, um Beistand zu erhalten, ist dieser nicht mal anwesend, und Larry muss mit einer Vertretung vorliebnehmen: dem Junior-Rabbi, kaum dem Theologie-Seminar entwachsen und noch grün hinter den Ohren und ganz offensichtlich ohne jede Erfahrung mit all den Unbilden des Lebens, die Larry gerade mit aller Gewalt ins Gesicht wehen. Und diesem fällt zu Larrys Schicksal nichts Besseres ein als eine hölzerne Theodizee, die in dem Bildnis gipfelt, dass doch auch etwa dem Parkplatz vor dem Gemeindehaus in all seiner Trivialität eine erhabene Schönheit innewohne, die man im Alltag nur wahrzunehmen vergesse: „Der Parkplatz, Larry!“
Von dieser Seite hat Larry also keine Hilfe zu erwarten, und so gibt er seine Bemühungen nicht auf, zum eigentlichen Rabbi vorzudringen, aber dieser Versuch gestaltet sich schwierig und als regelrecht kafkaesk. Die Wege des Herrn sind nun mal unergründlich, und das muss Larry wohl einfach aushalten – zumal auch gerade die Bar Mitzwa seines Sohnes ansteht, und diesem möchte er natürlich die gebotene Zuversicht zum Eintritt in die Religionsmündigkeit mitgeben. Vorläufig muss er sich also gleichsam als moderner Hiob alleine mit seinen Problemen herumschlagen, und die Geschichte dieser göttlichen Prüfungen inszenieren die Coens mit dem gewohnt geistreichen Witz. Das ist nicht nur köstlich amüsant anzusehen, sondern im Hinblick auf die jüdische Kultur außerdem noch ausgesprochen lehrreich für jeden Goi (d.h. Nichtjuden). Für meine Begriffe also ein klarer Fall von „Muss man gesehen haben“!