Wurst aufschneiden mit Käsereibe

Toni Erdmann von Maren Ade

Szenenapplaus im Kinosaal? Bis gestern Abend war mir so etwas eigentlich nur bekannt als eine Art Geste der Konsolidierung eines Publikums, das einander signalisiert, dass es genau das geboten bekommt, was es erwartet hat, und sich darin bestärkt, dass es genau das erwartet hat und als dieses Publikum weiter erwarten wird – ein Schibboleth gleichsam von Gleichgesinnten, affektiert vorgebracht und aus Kalkül (und oftmals ist es vermutlich auch im Theater im Grunde nichts anderes). Anders an diesem Abend. Hier ereignet sich noch echter Szenenapplaus, nicht aus Kalkül sondern aus Verblüffung und als spontaner Ausdruck von Begeisterung darüber, was sich da gerade auf der Leinwand abspielt und dabei das Publikum dermaßen zu überwältigen vermag, dass es sich für einen Moment vergisst, ebenso wie die Tatsache, dass niemand zugegen ist, dem der Applaus gespendet werden kann, außer ihm selbst. Insofern zeichnet sich zwangsläufig letztlich doch wieder diese Figur von autoreferenziellem, konsolidierendem Beifall ab, aber nichtsdestotrotz ist mir ein solches Ausmaß von echter Spontaneität im Applaus glaube ich noch nirgendwo sonst untergekommen – auf keinen Fall im Kino.

Und dabei gibt es nicht einmal eine großartige Handlung. Ein komischer Kauz im Pensionsalter, der offenbar als Geschiedener allein lebt und mit einem ausgeprägten Hang zu infantilen Scherzen seine wenigen Sozialkontakte – Besuche bei seiner Mutter und seiner Ex-Frau sowie das ein oder andere Engagement als Musiklehrer – routiniert auf die Probe stellt. Zu seiner eigenen Tochter Ines, die als Unternehmensberaterin in Bukarest arbeitet und schon auf dem Karrieresprung nach Schanghai ist, hat er beinahe überhaupt keinen Kontakt mehr. Nach dem Tod seines Hundes, der ihn sozusagen von allen häuslichen Pflichten entbindet, macht er sich daran, die Beziehung zu seiner Tochter wieder aufleben zu lassen, und entschließt sich zu einem Spontanbesuch in der rumänischen Hauptstadt. Äußerer Anlass ist Ines’ Geburtstag, zu dem Winfried Wurst und eine Käsereibe als Geschenk mitbringt. Die Tochter ist von so viel Spontaneität nun nicht gerade angetan – weiß sie doch um die schalkhafte Unberechenbarkeit ihres Vaters -, aber die wenigen Zeitfenster, die ihr Terminkalender ihr in ihrem karrieristischen Übereifer lässt, hält sie dann doch für Winfried offen, und da es sich kaum vermeiden lässt, nimmt sie ihn sogar mit zu halboffiziellen Geschäftsterminen. Dabei gelingt es Winfried nur bedingt, seiner Tochter zuliebe über seinen Schatten zu springen und sich zusammenzureißen, und so bleibt es nicht aus, dass er wie gewohnt voller Schabernack und zunehmend systematisch in der Rolle der clownesken Kunstfigur „Toni Erdmann“ Ines’ Geschäftsbeziehungen unterminiert. So lässt sich Toni in einer Szene etwa, während Ines mit ihrem Chef die nächsten Karriereoptionen diskutiert, im Hintergrund klassisch auf einem Furzkissen nieder.

Bestes Komödien-Setting im Consulting-Milieu also, und das wird mit seiner hohlen Etikette von oberflächlichen (Un-)Verbindlichkeiten und stumpfsinnigem business talk auch kräftig auf die Schippe genommen. Aber weil es gleichzeitig auch immer um die ganz existenzielle Vater-Kind-Beziehung geht und dabei die großen Fragen aufgeworfen werden, gibt es durchweg auch ernste Untertöne. „Da schwirren jetzt aber ein paar ganz schön große Begriffe herum“, weicht Ines etwa ihrem Vater aus, als der sich danach erkundigt, ob sie denn eigentlich glücklich sei oder jedenfalls zufrieden mit ihrem Leben, und so muss dieser noch drastischer zum Holzhammer greifen, um seiner Tochter klar werden zu lassen, dass eine Karriere allein mit Cashflow und High SocietyLifestyle vielleicht noch kein ganzes Leben ausmacht – nur dass es in seinem Fall (more metaphorico) der Quietschehammer des Clowns ist.

Sinnfälliger Höhepunkt für den letztlich wohl erfolgreich geführten Befreiungsschlag mit diesem Hammer ist der Brunch zu Ines’ Geburtstag, der unverhofft im Zeichen der Spannung zwischen Nacktheit und Maskerade steht. Nacktheit als Symbol für den Ausbruch aus der bisweilen lebensfeindlichen Zivilisation und für das Abstreifen von Etikette ist – sozusagen durch stets bemühte und oft wenig gelungene künstlerische Realisierung – an sich sicherlich alles andere als originell. Andererseits ist sie wesentlich aber auch der eo ipso natürliche, weil per se selbstverständliche Ausdruck für einen solchen Ausbruch, und als gelungener Ausdruck dieser Selbstverständlichkeit findet er sich hier eingesetzt – zumal sie von den Akteuren dann doch noch eine stützende Rückbindung erfährt und als vermeintliche Technik zum Teambuilding ambivalent anschlussfähig gehalten wird.

Abschließend nur noch ein Wort zu der womöglich monumental anmutenden Länge von 162 Minuten: Diese Zeit verfliegt ganz beiläufig, weil der Film von Maren Ade vor Originalität nur so birst und auf so vielschichtige Weise kurzweilig ist, dass nicht eine Sekunde Langeweile aufkommen kann. Meine unbedingte Empfehlung für Toni Erdmann.

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