Der Russe ist einer, der Birken trinkt

Amuse-gueule aus Dresden

Auch und gerade wenn man die befürchtete „Islamisierung des Abendlandes“ für ein Hirngespinst hält, gibt es viele Gründe, Dresden einen Besuch abzustatten, und außerdem lässt sich ja um den jour fixe der vermeintlich patriotischen Europäer (ist das übrigens nicht eigentlich eine contradictio in adiecto?) auch bequem ein Bogen machen, wie ich es getan habe. Das Gros der Gründe, die für einen Besuch der sächsischen Hauptstadt sprechen, ist hinlänglich bekannt (Stichwort „Elbflorenz“) und in jedem Reiseführer einschlägig aufgeführt, und darüber muss ich an dieser Stelle kein Wort mehr verlieren. Was dem Tunnelblick des durchschnittlichen kulturbeflissenen Dresden-Touristen aber womöglich entgeht, weil seine Aufmerksamkeit im Reiseführer vermutlich doch zu sehr von den Highlights Zwinger, Frauenkirche und Semperoper etc. absorbiert wird, und was ich einmal insbesondere für Besucher aus Berlin hervorheben möchte, ist die Neustadt.

Um einen Geheimtipp handelt es sich dabei jedoch keineswegs, verweisen doch sogar die Infotafeln entlang der touristischen Trampelpfade bereitwillig auf den „Szenekiez Äußere Neustadt“. Hier begegnen dem Besucher internationale Restaurants und Imbisse, Cafés und Kneipen, hippe Boutiquen und Plattenläden am laufenden Meter und damit gleichsam ein Kondensat der Bundeshauptstadt und sozusagen der Bergmannkiez, der Simon-Dach-Kiez und die Oranienstraße einschließlich szenetypischen Streetart-Ornats vereint auf einer Fläche, die kleiner ist als das Tempelhofer Feld. Der Berliner, der sich ja in seinem Alltag wenn auch mürrisch mit langen Wegen abgefunden hat und diese u.U. als Ausweis seiner Mondänität versteht, findet hier also ein pedestrisches Dorado vor. Mich persönlich hat die hohe Dichte an Alternativkulturleben als Kontrapunkt zur barocken Pracht der pittoresken Seite Dresdens jedenfalls so begeistert, dass es mich bei meinem viertägigen Aufenthalt jeden Abend wieder in die Neustadt gezogen hat.

Ein Abstecher dorthin lohnt also allemal, aber eine bestimmte Adresse möchte ich noch besonders hervorheben. Obwohl ich dort hervorragend gespeist habe, war mir das Lokal nämlich für einen Freitag Abend auffällig spärlich besucht, daher sei es mir vergönnt, ein wenig die Werbetrommel zu rühren. Die Rede ist vom Pelmeni-Bistro „Samowar“ in der Alaunstraße, einer gemütlichen kleinen Gaststätte mit russischer Bewirtschaftung. Möglicherweise liegt es an der Lage schon eher in den Ausläufern des Viertels, oder womöglich bevorzugen die Gäste am Abend Restaurants mit größeren Räumen oder den tausendundeins Gewürzen Indiens, was alles in unmittelbarer Nähe ebenfalls zu haben ist, sodass es nur wenige Gäste in das russisches Bistro verschlägt. Vielleicht schreckt manche dieser Tage auch das lebensgroße Porträt Putins als Wandmalerei oder einfach die Intimität mit dem Wirt, denn kaum habe ich Platz genommen, verlassen zufällig die zwei einzigen übrigen Gäste das Lokal, und ich bin allein mit dem Gastgeber, der an einem Tisch mitten im Raum sitzt – offenbar sein Stammplatz, denn dort verharrt er auch, während ich esse, und widmet sich anscheinend seiner Buchhaltung -, nur drei Schritte von mir entfernt. An der Speisekarte kann es jedenfalls nicht liegen, denn die bietet akkurat die landestypische Küche an mit Borschtsch und zahlreichen Varianten von Pelmeni, Bliny, Wareniki usw. Auf der separaten und wahrscheinlich in irgendeinem Zeitintervall wechselnden Abendkarte werden noch ganz unprätentiös ein „Lammgericht“ und ein „Geflügelgericht“ aufgeführt, und letzteres trifft genau meinen Geschmack an jenem Abend: Pilze, Tomaten und Käse, die irgendwie um Hähnchenbrust arrangiert sind. Nachdem ich bestellt habe, verschwindet der Wirt um die Ecke, und es beginnt zu brutzeln. Der Herr führt das Lokal also offensichtlich als Ein-Mann-Armee, was mich als sozusagen idealtypische Verkörperung des Konzeptes „Wirt“ tief beeindruckt. Gleichzeitig lässt es jedoch auch erahnen, dass der gute Mann einen größeren Gästeandrang wohl kaum würde bewältigen können. Es klappert und zischt nun eine Weile, und dann kommt das Essen auf den Tisch, und der Wirt lässt sich wieder bei seinen Bilanzen nieder und bemüht sich ob der Nähe zu seinem Gast gleichzeitig um Diskretion und parate Eilfertigkeit. Ich genieße nun ein köstliches Geflügelgericht mit vollmundiger Champignonrahmsauce und kompakter Käsehaube, das von Salzkartoffeln und einer Salatbeilage mit frischen Tomaten und Gurkenscheiben gerahmt wird – ein zweiter Blick in die Karte präzisiert das Gericht als solches „Rostower Art“. Kaum habe ich den Teller geleert, springt der Wirt aufmerksam von seinem Platz auf, um abzuräumen und sich nach meinem Urteil zu erkundigen. Ich lobe sein Essen als sehr gut – wieviel aufrichtiger gelingt das gegenüber dem tatsächlichen Koch! – und wiederhole das gleich ein zweites Mal, um meinem Lob Nachdruck zu verleihen. Anschließend mache ich mit den Augen noch einen Verdauungsspaziergang durch die Karte und beschließe, zum selben Zweck noch einen Wodka zu bestellen. Einen großen Teil der Karte machen nämlich russische Premiumwodkas aus, der Wirt bietet bei mindestens acht Anmeldungen auch Wodkaverkostungen an, wahlweise inklusive Catering von einem indischen Partnerrestaurant. Ich bin mit einem einzigen Wodka zufrieden und entscheide mich für eine Sorte, die mit Birkenextrakten veredelt ist. Der Baum bäumt sich aber aromatisch gar nicht besonders auf, vielmehr ist der Wodka relativ weich am Gaumen und nicht mehr als ein schmackhaftes Schlückchen. Nichtsdestotrotz verbrüdert mich der Schnaps endgültig mit dem Russen, und ich weide mich an dem Glück, das er mir auf dem Teller und im Glase gereicht hat, verlasse das Lokal gleichsam Arm in Arm mit den Bären, die dort auf den Tischen sitzen und empfehle jedem den Besuch Dresdens, seiner Neustadt und im „Samowar“!

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