Im (ausge)siebten Himmel

The Lobster von Yorgos Lanthimos

Wir sind natürlich wirklich so. Man würde zwar auch damit durchkommen, sich hinter Begriffen wie „Dystopie“ und „Satire“ wegzuducken, und könnte sich die Zumutungen der in diesem Film präsentierten (je nach Gemüt: traurigen) Wahrheit schenkelklopfend vom Leib halten, aber dabei handelte es sich letztlich nur um einstudierte sublimierte Abwehrmechanismen gegen die Bestie Mensch in uns. Ich habe mal von einer Studie gehört, in der nachgewiesen wurde, dass paarungswillige Froschweibchen sich signifikant zu solchen Männchen hingezogen fühlen, deren lautes und sonores Quaken schon aus der Ferne einen entsprechend kräftigen Körperwuchs signalisiert. Getestet wurde das mit Tonbandaufnahmen unterschiedlicher Froschstimmen, die per Lautsprecher im Biotop angeboten wurden. Außer den Weibchen haben die attraktiven Stimmen aber auch Männchen angelockt, die spitzgekriegt haben, dass da gar kein Rivale aus Fleisch und Blut am Werke ist und sie also in der Nähe des Lautsprechers bequem zurückgelehnt und ohne eigene Anstrengung die ein oder andere Partnerin abstauben können, die sich liebestoll und von dem Soundangebot gefügig gemacht dort einfindet. Auch so geht survival of the fittest. Also: natürlich würden auch wir Menschen wie im Film Nasenbluten respektive Gefühlskälte simulieren, wenn wir dadurch einen erwünschten Paarungserfolg begünstigen könnten.

So viel zum wahren Kern dieses außergewöhnlichen Films „The Lobster“. Die Gesellschaft, unter deren Bedingungen sich hier Partnersuche bzw. die Verweigerung derselben entfaltet, ist aber nichtsdestotrotz satirisch überspitzt und dystopisch: Wer durch Tod des Partners oder Trennung sich als alleinstehend wiederfindet, wird umgehend interniert in einer Art Club-Urlaub mit unaufhörlicher Singleparty und bekommt 45 Tage Zeit, sich dort neu zu verlieben. Gelingt das nicht, ist das Leben verwirkt – zumindest das als Mensch, denn nach Ablauf der Frist erfolgt die Zwangstransformation zu demjenigen Tier, das man bei seiner Einweisung als Wunschexistenz im Falle eines Misserfolgs angegeben hat. Immerhin hat man noch die Chance, die Dauer des Aufenthalts im Hotel und damit die Partnersuche zu verlängern, wenn man Erfolg bei der Jagd auf die „Loners“ hat – diese bilden eine dissidente und vom Mainstream normativ zum Abschuss freigegebene Alternativgesellschaft von Onanisten im Wald, bei denen wiederum jede Form von Flirt und Paarungsabsicht verpönt ist und bestraft wird. Im Hotel ist umgekehrt (selbstredend) Masturbation unter Strafe gestellt, während die Insassen gleichzeitig durch den Zimmerservice systematisch sexuell angetörnt werden, um durch die unbefriedigte Erregung den Leidensdruck und damit letztlich die Motivation bei der Partnersuche anzustacheln – sozusagen zur Steigerung der Erfolgsaussicht. Angesichts solch harter Bedingungen fragt der Lobster-Anwärter David beim Einchecken zur Sicherheit noch einmal nach, ob eine „bisexual option“ verfügbar sei – denn das würde ja rein rechnerisch die Aussicht auf einen Paarungserfolg erhöhen. Eine solche gibt es aufgrund verwaltungstechnischer Probleme jedoch nicht mehr, und so muss sich David voll und ganz darauf konzentrieren, in der einmal aktenkundig gewordenen heterosexuellen Orientierung zu reüssieren, um dem Hummerschicksal zu entgehen.

hummer

Salvador Dalí: Hummer- oder Aphrodisisches Telefon (1936)

In der Rolle des David brilliert Colin Farrell mit einem unnachahmlichen Mienenspiel, das die Groteske der fiktiven Welt perfekt widerspiegelt. Während sich in dem Animationsprogramm des Hotels eine Absurdheit an die andere reiht, jede noch unwahrscheinlicher als die vorherige (herrlich die Rollenspiele zur Veranschaulichung der Vorzüge des Paarlebens), bleibt Davids Mimik indifferent konzentriert und schicksalsergeben – und gleichsam genauso hündisch wie die seines Bruders, der das Programm schon erfolglos durchlaufen hat und ihm nun nur noch in Gestalt des treuen Vierbeiners zur Seite stehen kann. Grandios auch Farrells Darbietung von halb unterdrücktem kindlichen Zorn, in den David verfällt, als er erfährt, dass seine spätere Partnerin (kongenial verkörpert von Rachel Weisz) ihrer eine mögliche Paarbeziehung in Normalität rechtfertigenden Gemeinsamkeit beraubt wurde.

Überhaupt ist die Rolle der Gemeinsamkeit in der hier entworfenen Gesellschaft bemerkenswert. Natürlich gilt auch in unserer Lebenswirklichkeit ein „Gleich und gleich gesellt sich gern“ sowie das (unterschwellig narzisstische) Phänomen, dass wir uns umso eher in einen Menschen verlieben, je mehr von uns selbst wir in ihm wiederzufinden meinen, aber in der Lobster-Welt wird das gleichsam zum unabdingbaren Ausweis der Zusammengehörigkeit. Hier wird ein Paar offenbar nur dann von der Gesellschaft akzeptiert, wenn es eine handgreifliche Gemeinsamkeit (z.B. Anfälligkeit für Nasenbluten, Gehfehler oder Kurzsichtigkeit) vorweisen kann. Und so gilt es als schweres Vergehen, das hart bestraft wird, wenn eine solche paarbildende Gemeinsamkeit von einem Beteiligten nur fingiert wird, um der Transformation zum Tier zu entgehen (wie es sowohl David in Form von Gefühlskälte als auch der Limping Man mit dem Nasenbluten praktizieren). Die Notwendigkeit der evidenten Gemeinsamkeit als Grundlage der Paarbeziehung führt im Film letztlich sogar zu einem hochdramatischen Showdown, der zusammen mit dem Protagonisten auch dem Zuschauer einiges abverlangt aber der hier nicht weiter vorweggenommen sein soll.

Der dramatische Aspekt wird schon im Laufe des Films immer wieder durch den Einsatz von Musik akzentuiert, die quasi plakativ auf die Traditionen von Suspense oder Horror anspielt. Diese Bezugnahme ist aber als parodistisch zu werten, denn durch die radikal groteske Überzeichnung sowie eine regelrechte Lawine von Absurditäten, insbesondere in den (Flirt-)Dialogen, überwiegt letztlich Komik als Haupteindruck, der nicht zuletzt durch das bereits hervorgehobene Mienenspiel des Hauptdarstellers Farrell mitgetragen wird. Ein teilweise makabrer aber köstlich unterhaltsamer Spaß und fulminanter Genremix, der nicht ohne Grund mit zahlreichen Preisen (u.a. in Cannes) ausgezeichnet wurde und unbedingt zum Anschauen zu empfehlen ist.

Wurst aufschneiden mit Käsereibe

Toni Erdmann von Maren Ade

Szenenapplaus im Kinosaal? Bis gestern Abend war mir so etwas eigentlich nur bekannt als eine Art Geste der Konsolidierung eines Publikums, das einander signalisiert, dass es genau das geboten bekommt, was es erwartet hat, und sich darin bestärkt, dass es genau das erwartet hat und als dieses Publikum weiter erwarten wird – ein Schibboleth gleichsam von Gleichgesinnten, affektiert vorgebracht und aus Kalkül (und oftmals ist es vermutlich auch im Theater im Grunde nichts anderes). Anders an diesem Abend. Hier ereignet sich noch echter Szenenapplaus, nicht aus Kalkül sondern aus Verblüffung und als spontaner Ausdruck von Begeisterung darüber, was sich da gerade auf der Leinwand abspielt und dabei das Publikum dermaßen zu überwältigen vermag, dass es sich für einen Moment vergisst, ebenso wie die Tatsache, dass niemand zugegen ist, dem der Applaus gespendet werden kann, außer ihm selbst. Insofern zeichnet sich zwangsläufig letztlich doch wieder diese Figur von autoreferenziellem, konsolidierendem Beifall ab, aber nichtsdestotrotz ist mir ein solches Ausmaß von echter Spontaneität im Applaus glaube ich noch nirgendwo sonst untergekommen – auf keinen Fall im Kino.

Und dabei gibt es nicht einmal eine großartige Handlung. Ein komischer Kauz im Pensionsalter, der offenbar als Geschiedener allein lebt und mit einem ausgeprägten Hang zu infantilen Scherzen seine wenigen Sozialkontakte – Besuche bei seiner Mutter und seiner Ex-Frau sowie das ein oder andere Engagement als Musiklehrer – routiniert auf die Probe stellt. Zu seiner eigenen Tochter Ines, die als Unternehmensberaterin in Bukarest arbeitet und schon auf dem Karrieresprung nach Schanghai ist, hat er beinahe überhaupt keinen Kontakt mehr. Nach dem Tod seines Hundes, der ihn sozusagen von allen häuslichen Pflichten entbindet, macht er sich daran, die Beziehung zu seiner Tochter wieder aufleben zu lassen, und entschließt sich zu einem Spontanbesuch in der rumänischen Hauptstadt. Äußerer Anlass ist Ines’ Geburtstag, zu dem Winfried Wurst und eine Käsereibe als Geschenk mitbringt. Die Tochter ist von so viel Spontaneität nun nicht gerade angetan – weiß sie doch um die schalkhafte Unberechenbarkeit ihres Vaters -, aber die wenigen Zeitfenster, die ihr Terminkalender ihr in ihrem karrieristischen Übereifer lässt, hält sie dann doch für Winfried offen, und da es sich kaum vermeiden lässt, nimmt sie ihn sogar mit zu halboffiziellen Geschäftsterminen. Dabei gelingt es Winfried nur bedingt, seiner Tochter zuliebe über seinen Schatten zu springen und sich zusammenzureißen, und so bleibt es nicht aus, dass er wie gewohnt voller Schabernack und zunehmend systematisch in der Rolle der clownesken Kunstfigur „Toni Erdmann“ Ines’ Geschäftsbeziehungen unterminiert. So lässt sich Toni in einer Szene etwa, während Ines mit ihrem Chef die nächsten Karriereoptionen diskutiert, im Hintergrund klassisch auf einem Furzkissen nieder.

Bestes Komödien-Setting im Consulting-Milieu also, und das wird mit seiner hohlen Etikette von oberflächlichen (Un-)Verbindlichkeiten und stumpfsinnigem business talk auch kräftig auf die Schippe genommen. Aber weil es gleichzeitig auch immer um die ganz existenzielle Vater-Kind-Beziehung geht und dabei die großen Fragen aufgeworfen werden, gibt es durchweg auch ernste Untertöne. „Da schwirren jetzt aber ein paar ganz schön große Begriffe herum“, weicht Ines etwa ihrem Vater aus, als der sich danach erkundigt, ob sie denn eigentlich glücklich sei oder jedenfalls zufrieden mit ihrem Leben, und so muss dieser noch drastischer zum Holzhammer greifen, um seiner Tochter klar werden zu lassen, dass eine Karriere allein mit Cashflow und High SocietyLifestyle vielleicht noch kein ganzes Leben ausmacht – nur dass es in seinem Fall (more metaphorico) der Quietschehammer des Clowns ist.

Sinnfälliger Höhepunkt für den letztlich wohl erfolgreich geführten Befreiungsschlag mit diesem Hammer ist der Brunch zu Ines’ Geburtstag, der unverhofft im Zeichen der Spannung zwischen Nacktheit und Maskerade steht. Nacktheit als Symbol für den Ausbruch aus der bisweilen lebensfeindlichen Zivilisation und für das Abstreifen von Etikette ist – sozusagen durch stets bemühte und oft wenig gelungene künstlerische Realisierung – an sich sicherlich alles andere als originell. Andererseits ist sie wesentlich aber auch der eo ipso natürliche, weil per se selbstverständliche Ausdruck für einen solchen Ausbruch, und als gelungener Ausdruck dieser Selbstverständlichkeit findet er sich hier eingesetzt – zumal sie von den Akteuren dann doch noch eine stützende Rückbindung erfährt und als vermeintliche Technik zum Teambuilding ambivalent anschlussfähig gehalten wird.

Abschließend nur noch ein Wort zu der womöglich monumental anmutenden Länge von 162 Minuten: Diese Zeit verfliegt ganz beiläufig, weil der Film von Maren Ade vor Originalität nur so birst und auf so vielschichtige Weise kurzweilig ist, dass nicht eine Sekunde Langeweile aufkommen kann. Meine unbedingte Empfehlung für Toni Erdmann.

Zuckerbrot gleich Peitsche

Venus im Pelz von Roman Polanski

„Eine große Rolle spielt in diesem Film das Licht“, sagt Hans Helmut Prinzler in seiner Anmoderation von Roman Polanskis Venus im Pelz auf arte, aber das trifft eigentlich nur bedingt zu. Einerseits stimmt es selbstverständlich – wie es auf jeden anderen Film aber auch zutrifft -, denn bei einem Film ist Licht natürlicherweise der Informationsträger für alles Visuelle, was man sich abseits der Projektion in einem Kinosaal vielleicht zu wenig bewusst macht. In dieser Hinsicht ist die Aussage aber trivial, und so ist sie von Prinzler natürlich auch nicht gemeint. Er zielt vielmehr darauf ab, dass Polanski in seinem Film einen sehr bewussten Einsatz von Lichttechnik und -design vorführt, um eine gewisse Atmosphäre zu erzeugen bzw. Stimmungen zu transportieren. Der Anlass dafür ist aber schon durch die Szene selbst vorgegeben und kommt nicht erst und damit keineswegs vordergründig als Mittel der Inszenierung zum Tragen.

Die Szene des Films ist nämlich eine Szene auf dem Theater bzw. ein Vorsprechen als Probe für eine geplante Bühneninszenierung – und hier nähern wir uns dem eigentlichen Clou, an dem Prinzler mit seiner formal-ästhetischen Fokussierung auf das Licht knapp vorbeischlittert. Freilich erleben wir als Zuschauer einen kunstvoll arrangierten Lichteinsatz, aber dieser begegnet uns hier als Teil einer inszenierten Inszenierungsarbeit und beleuchtet somit insbesondere die Spiel-im-Spiel-Anlage, von der der Film ganz eminent geprägt ist. Übrigens handelt es sich bei Polanskis Adaption nicht um die Verfilmung des Romans von Sacher-Masoch, sondern um die Aufarbeitung eines Broadway-Stückes von David Ives, welches die Romanvorlage auf bestechende Weise neu interpretiert. Bei der Bühnenfassung tritt die mise en abyme (der Charakter von Spiel im Spiel) vermutlich erst recht unmittelbar vor Augen, da man es dabei nicht mit einem Wechsel des Mediums (Theater – Film) zu tun bekommt. Der Bühnencharakter bleibt allerdings auch in der Verfilmung gewahrt, denn es handelt sich hier um ein filmisches Kammerspiel, und die obendrein zeitdeckende Inszenierung ohne Zeitsprünge oder Szenenwechsel trägt dazu bei, dass sich im Spiel zwischen den beiden Figuren eine besondere Intensität entfalten kann.

Das doppelt fiktive Spiel im Spiel unterstreicht dabei gekonnt diejenige Form von Spiel in der realen sozialen Interaktion, um die es thematisch in der Hauptsache geht: den Flirt und seinen manipulativen Charakter als Mittel der Verführung sowie das (mehr oder weniger) spielerische Kräftemessen zwischen den Geschlechtern. Es ist eine helle Freude, Emmanuelle Seigner und Mathieu Amalric dabei zuzusehen, wie sie diesen Machtkampf als Spiel auf mehreren Ebenen austragen und quasi als Drama von der sexuellen Hörigkeit aufführen, bei dem sich eine erotische Spannung aufbaut, die noch auf der Leinwand mit Händen zu greifen ist. Da die Vanda von Polanskis Ehefrau gespielt wird und Amalric nicht nur optisch an eine jüngere Ausgabe des Regisseurs selbst erinnert (so wiederum Prinzler), kommt übrigens augenzwinkernd noch der autobiografische Bezug als weitere Ebene hinzu.

Die Figur der Vanda hat etwas Undurchschaubares, das neben ihren herausragenden schauspielerischen Fähigkeiten (die letztlich Seigner als ihre Interpretin auszeichnen) dazu beiträgt, dass sie den Regisseur Thomas vom Fleck weg in ihren Bann zieht. Zwar stellt sie Thomas wiederholt wegen des ihrer Ansicht nach sexistischen Charakters seines Stückes zur Rede, das sie besser zu kennen scheint als der Autor selbst, und zwischendurch gibt sie sich als Detektivin aus, die von Thomas’ Verlobter als Treuetesterin angeheuert worden sei, aber dabei scheint es sich um eine haltlose Behauptung zu handeln. Kaum scheint Thomas die Schauspielerin auch nur an einem Zipfel zu fassen zu bekommen, entzieht sie sich ihm auch schon wieder, indem sie nahtlos in die Rolle der Bühnen-Wanda wechselt. Ihre eigentlichen Motive bleiben im Dunklen, was dem Film etwas Mysteriöses verleiht. Trotz – oder gerade wegen – ihrer Ungreifbarkeit wickelt sie den Regisseur um den Finger und zwingt ihn regelrecht in die Rolle des Severin seines Stückes, die er nur zu wollüstig annimmt.

In diesem Fall hat also letztlich mal wieder die Frau die Hosen an und dies nicht zum Schaden des Mannes, weil der Schaden jedenfalls jederzeit von Lust aufgewogen wird, wenn nicht sogar übertroffen. „Aber der Herr, der allmächtige Gott, hat ihn gestraft, und hat ihn in eines Weibes Hände gegeben“ – so lautet prominent das Doppel-Motto von Stück und Film. Der Begriff der femme fatale, die Vanda zweifellos verkörpert, wird so als Tautologie abgestempelt, aber ein solches fatum ist einem Thomas/Severin masochistisch willkommen.So schlimm kann die Strafe nicht sein, wenn sie als so süße Pein daherkommt. Wer sich als heterosexueller männlicher Zuschauer angesichts der Versuchung durch Vanda nicht selbst am Ende gefangen in den Fesseln der Begierde sähe wie Thomas, werfe den ersten Stein.

Niemals nie

Eigentlich liegt der Besuch von mir fast schon zu lange zurück, um noch darüber zu schreiben, aber weil ich den Abend als so außergewöhnlich gut empfunden habe, kann und will ich es doch nicht unterlassen, diesen Eindruck nachträglich festzuhalten. Die Rede ist von dem Stück NEVER FOREVER an der Berliner Schaubühne.

Thematisch ähnlich gelagert wie die bereits besprochenen Stücke von Sibylle Berg geht es auch hier wieder um das moderne Individuum im Internetzeitalter und unter den Bedingungen von Social Media, nur diesmal ohne die schwerpunktmäßige Fokussierung auf Weiblichkeitsentwürfe. Als einer unter vielen taucht jedoch auch dieser Aspekt im Panoptikum der Inszenierung von Falk Richter und TOTAL BRUTAL auf, nämlich wenn gleich ziemlich am Anfang eine „mise en abyme“-Schauspielerin eine Frau, die sich als ihre Tochter an sie wendet, mit den Worten abweist, „die Mutterrolle habe ich nie angenommen“, und damit das womöglich natürlichste und innigste Verhältnis, was (konventionell gesehen) zwischen zwei Menschen herrschen kann, zu einem nur optionalen Engagement degradiert. Damit ist schon zu einem frühen Zeitpunkt im Stück sehr effektvoll herausgestellt, worum es dann auch in der Folge weiter gehen wird: Menschen, die sich außerstande sehen, sich langfristig auf etwas einzulassen, nicht nur aber insbesondere auf Beziehungen zu anderen Menschen. Den komischen Höhepunkt in diesem Problemkosmos bildet ein Telefonat zwischen den beiden Partnern in einer modern unverbindlichen On/off-Beziehung, wo der Mann nach Tagen oder gar Wochen ohne jeden Kontakt mal wieder nur anruft, um sich darüber auszulassen, wie extrem „busy“ er in letzter Zeit immer gewesen sei und wie außerordentlich müde ihn dieses sein Business praktisch jeden Tag mache, sodass jedes persönliche Treffen in nächster Zeit weiter ausgeschlossen bleibe, woraufhin ihn die Frau damit konfrontiert, dass ihr solche Telefonate nicht reichten, sondern sie ihn schließlich auch mal sehen wolle. Paarkonstellationen in dieser engeren Hinsicht trifft aber nur ein Schlaglicht unter vielen, und das Phänomen „Unverbindlichkeit“ wird auch in mehreren anderen Bereichen vorgeführt. So beklagt sich etwa auch ein Hochschuldozent über die geschrumpfte Aufmerksamkeitsspanne seiner Studenten und weist konsterniert darauf hin, dass es u.a. im Denken (er ist jedenfalls von der philosophischen Fakultät) „nicht nur Highlights“ geben könne, sondern „auch Hinleitungen“ absolviert und in Kauf genommen werden müssten, wozu die Nachwuchswissenschaftler seiner Ansicht nach anscheinend meistens gar nicht mehr bereit seien. Oder eine Frau konstatiert bei sich die Unfähigkeit zur „face to face“-Kommunikation, weil dabei im Gegensatz zum digitalen Posten nicht die Möglichkeit besteht, die eigenen Aussagen auch nachträglich noch zu editieren oder wieder zu löschen, sie krankt an der Endgültigkeit der gesprochenen Rede, die nach dem Aussprechen vermeintlich ein für alle Mal feststeht. Immer wieder kreisen die Szenen, die in weitgehend unverknüpfter Reihe aufeinanderfolgen, um dieselbe Symptomatik: das Unvermögen zu anhaltender Hinwendung, die stattdessen nur noch temporär und vorbehaltlich möglich ist, weil im Menschenstrom der Großstadt genauso wie im Datenstrom des Internets der nächstbeste Reiz der nächste noch bessere Eindruck sein könnte, so etwas wie Konzentration über einen längeren Zeitraum oder gar Commitment scheinen dagegen überhaupt nicht mehr möglich: NEVER FOREVER. Mögen sie sich selbst auch dafür halten – im Wortsinne haben wir es hier jedenfalls nicht mehr mit In-dividuen zu tun, denn mindestens ihre Aufmerksamkeit ist zu keiner Zeit ungeteilt und kommt nie zur Ruhe.

Als rastlos Getriebene, sich Windende präsentiert auch die energetische Choreografie von Nir de Volff diese Menschen in dem schlichten aber ebenfalls dynamisch modulierten Bühnenbild, unterstützt von ebenso treibenden Musikeinspielungen, die in ihrer aufputschenden Wirkung an den Soundtrack von „Lola rennt“ erinnern. Insgesamt ergibt sich dadurch eine Wirkung, die mich am Ende im besten Sinne erschüttert und erschöpft zurücklässt, wohl auch weil die im Stück angelegte Gegenwartsdiagnose eine Form von Wahrhaftigkeit entwickelt, die in gewaltiger Intensität ästhetisch auf den Punkt gebracht wird. Hätte ich nicht vor rund zehn Jahren bei einer sensationellen Inszenierung von Rimbauds „Une saison en enfer“ als Einmannstück am Theater Dortmund aus Scham vor dem kleinen Publikum versäumt, stehend zu applaudieren, wonach ich mir schwören musste, von nun an nie an standing ovations im Theater teilnehmen zu können, weil ich damit dieser großartigen Leistung im Nachhinein Unrecht tun würde – bei diesem Stück von Falk Richter wäre es eigentlich wieder angebracht gewesen. Mehr kann Kunst wohl nicht erreichen, als den Rezipienten regelrecht körperlich anzugehen und mitzunehmen, und genau das gelingt NEVER FOREVER. Für mich der beste Theaterabend seit langem.

 

Der Russe ist einer, der Birken trinkt

Amuse-gueule aus Dresden

Auch und gerade wenn man die befürchtete „Islamisierung des Abendlandes“ für ein Hirngespinst hält, gibt es viele Gründe, Dresden einen Besuch abzustatten, und außerdem lässt sich ja um den jour fixe der vermeintlich patriotischen Europäer (ist das übrigens nicht eigentlich eine contradictio in adiecto?) auch bequem ein Bogen machen, wie ich es getan habe. Das Gros der Gründe, die für einen Besuch der sächsischen Hauptstadt sprechen, ist hinlänglich bekannt (Stichwort „Elbflorenz“) und in jedem Reiseführer einschlägig aufgeführt, und darüber muss ich an dieser Stelle kein Wort mehr verlieren. Was dem Tunnelblick des durchschnittlichen kulturbeflissenen Dresden-Touristen aber womöglich entgeht, weil seine Aufmerksamkeit im Reiseführer vermutlich doch zu sehr von den Highlights Zwinger, Frauenkirche und Semperoper etc. absorbiert wird, und was ich einmal insbesondere für Besucher aus Berlin hervorheben möchte, ist die Neustadt.

Um einen Geheimtipp handelt es sich dabei jedoch keineswegs, verweisen doch sogar die Infotafeln entlang der touristischen Trampelpfade bereitwillig auf den „Szenekiez Äußere Neustadt“. Hier begegnen dem Besucher internationale Restaurants und Imbisse, Cafés und Kneipen, hippe Boutiquen und Plattenläden am laufenden Meter und damit gleichsam ein Kondensat der Bundeshauptstadt und sozusagen der Bergmannkiez, der Simon-Dach-Kiez und die Oranienstraße einschließlich szenetypischen Streetart-Ornats vereint auf einer Fläche, die kleiner ist als das Tempelhofer Feld. Der Berliner, der sich ja in seinem Alltag wenn auch mürrisch mit langen Wegen abgefunden hat und diese u.U. als Ausweis seiner Mondänität versteht, findet hier also ein pedestrisches Dorado vor. Mich persönlich hat die hohe Dichte an Alternativkulturleben als Kontrapunkt zur barocken Pracht der pittoresken Seite Dresdens jedenfalls so begeistert, dass es mich bei meinem viertägigen Aufenthalt jeden Abend wieder in die Neustadt gezogen hat.

Ein Abstecher dorthin lohnt also allemal, aber eine bestimmte Adresse möchte ich noch besonders hervorheben. Obwohl ich dort hervorragend gespeist habe, war mir das Lokal nämlich für einen Freitag Abend auffällig spärlich besucht, daher sei es mir vergönnt, ein wenig die Werbetrommel zu rühren. Die Rede ist vom Pelmeni-Bistro „Samowar“ in der Alaunstraße, einer gemütlichen kleinen Gaststätte mit russischer Bewirtschaftung. Möglicherweise liegt es an der Lage schon eher in den Ausläufern des Viertels, oder womöglich bevorzugen die Gäste am Abend Restaurants mit größeren Räumen oder den tausendundeins Gewürzen Indiens, was alles in unmittelbarer Nähe ebenfalls zu haben ist, sodass es nur wenige Gäste in das russisches Bistro verschlägt. Vielleicht schreckt manche dieser Tage auch das lebensgroße Porträt Putins als Wandmalerei oder einfach die Intimität mit dem Wirt, denn kaum habe ich Platz genommen, verlassen zufällig die zwei einzigen übrigen Gäste das Lokal, und ich bin allein mit dem Gastgeber, der an einem Tisch mitten im Raum sitzt – offenbar sein Stammplatz, denn dort verharrt er auch, während ich esse, und widmet sich anscheinend seiner Buchhaltung -, nur drei Schritte von mir entfernt. An der Speisekarte kann es jedenfalls nicht liegen, denn die bietet akkurat die landestypische Küche an mit Borschtsch und zahlreichen Varianten von Pelmeni, Bliny, Wareniki usw. Auf der separaten und wahrscheinlich in irgendeinem Zeitintervall wechselnden Abendkarte werden noch ganz unprätentiös ein „Lammgericht“ und ein „Geflügelgericht“ aufgeführt, und letzteres trifft genau meinen Geschmack an jenem Abend: Pilze, Tomaten und Käse, die irgendwie um Hähnchenbrust arrangiert sind. Nachdem ich bestellt habe, verschwindet der Wirt um die Ecke, und es beginnt zu brutzeln. Der Herr führt das Lokal also offensichtlich als Ein-Mann-Armee, was mich als sozusagen idealtypische Verkörperung des Konzeptes „Wirt“ tief beeindruckt. Gleichzeitig lässt es jedoch auch erahnen, dass der gute Mann einen größeren Gästeandrang wohl kaum würde bewältigen können. Es klappert und zischt nun eine Weile, und dann kommt das Essen auf den Tisch, und der Wirt lässt sich wieder bei seinen Bilanzen nieder und bemüht sich ob der Nähe zu seinem Gast gleichzeitig um Diskretion und parate Eilfertigkeit. Ich genieße nun ein köstliches Geflügelgericht mit vollmundiger Champignonrahmsauce und kompakter Käsehaube, das von Salzkartoffeln und einer Salatbeilage mit frischen Tomaten und Gurkenscheiben gerahmt wird – ein zweiter Blick in die Karte präzisiert das Gericht als solches „Rostower Art“. Kaum habe ich den Teller geleert, springt der Wirt aufmerksam von seinem Platz auf, um abzuräumen und sich nach meinem Urteil zu erkundigen. Ich lobe sein Essen als sehr gut – wieviel aufrichtiger gelingt das gegenüber dem tatsächlichen Koch! – und wiederhole das gleich ein zweites Mal, um meinem Lob Nachdruck zu verleihen. Anschließend mache ich mit den Augen noch einen Verdauungsspaziergang durch die Karte und beschließe, zum selben Zweck noch einen Wodka zu bestellen. Einen großen Teil der Karte machen nämlich russische Premiumwodkas aus, der Wirt bietet bei mindestens acht Anmeldungen auch Wodkaverkostungen an, wahlweise inklusive Catering von einem indischen Partnerrestaurant. Ich bin mit einem einzigen Wodka zufrieden und entscheide mich für eine Sorte, die mit Birkenextrakten veredelt ist. Der Baum bäumt sich aber aromatisch gar nicht besonders auf, vielmehr ist der Wodka relativ weich am Gaumen und nicht mehr als ein schmackhaftes Schlückchen. Nichtsdestotrotz verbrüdert mich der Schnaps endgültig mit dem Russen, und ich weide mich an dem Glück, das er mir auf dem Teller und im Glase gereicht hat, verlasse das Lokal gleichsam Arm in Arm mit den Bären, die dort auf den Tischen sitzen und empfehle jedem den Besuch Dresdens, seiner Neustadt und im „Samowar“!

Hit the road, Jack

Auf Geheiß meines Arbeitgebers fahre ich zum ersten Mal auf die Frankfurter Buchmesse und buche dazu ebenfalls zum ersten Mal eine Unterkunft über Airbnb. Weil bei uns in der Firma solche Planungen immer recht kurzfristig ablaufen, d.h. im Grunde ohne viel Planung, rechne ich mir keine Chancen aus, noch ein einigermaßen bezahlbares Hotelzimmer zu finden – falls das zur Buchmesse in Frankfurt überhaupt je möglich sein sollte -, und weiche daher gern auf das Online-Angebot von privaten Vermietern aus. Wie ich später von einem Einheimischen erfahren sollte, den ich beim Essen in einem eritreischen Restaurant kennenlerne, war das vermutlich auch ganz vernünftig: Seiner Einschätzung nach seien noch die schäbigsten Absteigen während der Buchmesse zu überteuerten Preisen ausgebucht. Dem weiche ich also aus und mache mich auf den Weg nach Frankfurt-Zeilsheim.

Gleich nach der Ankunft am Bahnhof begegnet mir die dem Großstädter entfremdete Dunkelheit der Provinz (es ist nach Acht an einem Oktoberabend). Ich atme die entsprechende Landluft und auf: Genau der gewünschte Gegenpol zum zu erwartenden Messetrubel, durch den die Geschäftsreise einen gehörigen Anflug von Urlaub bekommt, und ein willkommener Ausgleich zum Alltag im Moloch der Metropole, aus dem ich angereist bin. Ich laufe eine gute Viertelstunde durch den herbstlichen Vorstadtfeierabend und genieße die Frische der Atemluft, nur wenige Menschen sind auf der Straße, einige Herren in einer Trinkhalle, ein paar Autos. Bei der Ankunft an meiner Unterkunft eine kleine Überraschung: Den in der Annonce ausgewiesenen Gastgeber, mit dem ich auch meine Anreise telegrafisch verabredet habe, treffe ich gar nicht an, stattdessen öffnet mir sein Bruder (?) und ruft die Mutter herbei, die eigentliche Gastgeberin. Die Herberge ist also familiärer als gedacht, was ich als durchaus angenehm empfinde. Die Dame begrüßt mich sehr freundlich und führt mich nach oben, um mir die Räumlichkeiten zu zeigen, eine gemütlich rustikale Dachgeschosswohnung im Mehrgenerationenhaus, der Sohn lässt mich wissen, dass es sich um sein ehemaliges Kinderzimmer handelt. Man lädt mich noch ein, die bereitstehende Kaffeepadmaschine oder den Wasserkocher zu benutzen, und zeigt mir die Dusche im Keller, danach bleibe ich allein. Ich lege kurz ab und verlasse gleich wieder das Haus, um nach der fünfstündigen Anreise noch die Bedürfnisse des Magens zu befriedigen aber auch die anhaltende Neugier auf die Umgebung. Der Magen ist zuerst dran (erst kommt das Fressen …): Es gibt leckere Pizza beim nahegelegenen Italiener, einem netten Lokal im vermutlich mit Modernisierungsabsicht verkitschten Landhausstil, danach noch ein Verdauungsspaziergang zur Jahrhunderthalle. Dabei wieder das Erstaunen über die Tiefe der Nacht auf dem Land, wendet man sich von der Straße ab. Jedenfalls zur einen Seite hin, auf der anderen glimmt und raucht ein Industriepark. Und gegenüber, hinter Maschendraht, im Zwielicht schwachen Laternenschimmers ein verwildertes Spielplatzmodul – wie die Kulisse von einem Horrorfilm. Die Jahrhunderthalle bleibt hinter den Erwartungen zurück (gemessen an Jahrhunderhalle und Westpark in Bochum): ein bisschen ein beliebiges Planetarium, eher als ein Jahrhundertbauwerk, wobei die Kuppel dann doch eine Überraschung war. Anschließend geht es zurück und bald ins Gästebett.

Vom Messerummel will ich gar nicht erst anfangen, weil es genau so ist, wie man es sich vorstellt: Man läuft zu viel, isst zu wenig, und es ist erstaunlich, wie schnell zwei Tage verfliegen können. Sehr schön dann aber der kulinarische Absacker am zweiten Abend. Eigentlich wollte ich der regionalen Küche frönen und Schnitzel mit Grüner Soße essen, in einem Lokal, das ich von meinem einzigen früheren Frankfurtbesuch noch in bester Erinnerung habe. Ich finde auch erstaunlich schnell von der Konstabler Wache dorthin, nur um dann festzustellen, dass es bis zum letzten Platz an der Bar besetzt bzw. reserviert ist, worauf ich mich an einem Messetag auch schon ein bisschen eingestellt habe. Ich ziehe dann weiter, um auf gut‘ Glück noch einen zweiten Versuch zu machen oder im schlimmsten Fall mit einer Dönerbude vorliebzunehmen. Zu diesem Äußersten kommt es jedoch nicht, denn gleich um die Ecke fällt mir ein ansprechendes afrikanisches Restaurant ins Auge, wo man mir noch einen Platz anbieten kann – an der Bar. Die Karte ist vielversprechend und ich habe Mühe, mich zu entscheiden. Als das Essen dann nach kurzer Zeit kommt, unterläuft mir ein faux pas: Ich habe kein Besteck erhalten und frage danach. Man bringt zwar eins, doch der junge Herr neben mir, ein Verwandter der eritreischen Wirtsfamilie, wie sich später herausstellt, hakt sofort ein: Haben Sie noch nie hier gegessen? Ich muss das zugeben und lasse mich dann auch gerne belehren, dass die Speisen nach Landessitte in Eritrea mit der bloßen Hand gegessen werden. Bzw. nicht ganz mit der bloßen Hand: Zu der gulaschähnlichen Fleischsoße werden Sauerteigfladen gereicht, die von so schwammiger Konsistenz sind, dass sich davon leicht kleine Läppchen abreißen lassen, mit denen die Fleischstücke zu greifen sind und die Tunke aufgewischt werden kann. Selbstverständlich lasse ich das bestellte Besteck nach dieser freundlichen Einweisung unangetastet liegen und genieße den Ausbruch aus der abendländischen Zivilisation mit kindlicher Freude. Dabei kommt mir in den Sinn, dass an dieser Kulturpraxis sicher auch Nietzsche Gefallen gefunden hätte. Wir Okzidentaleuropäer sind doch in jeglicher Hinsicht denaturiert und haben den Bezug zu allem Vital-Irdischen sterilisiert, also: Dionysos gegen den Gekreuzigten!, auch beim Essen. Weil meine Beschreibung womöglich dem durchschnittlichen europäischen Gaumen ebenfalls nicht unmittelbar geschmeichelt haben mag, sei noch ausdrücklich gesagt, dass das Essen vorzüglich war, angenehm pikant und äußerst sättigend mit all dem Teig. Mit dem Herrn, der mich freundlicherweise in die eritreische Esskultur eingeführt hat, komme ich noch ins Gespräch – wir quatschen über die Eigenheiten von Frankfurt und Berlin, steigende Mietpreise etc., und er erzählt viel von seinem Onkel, der Botschafter ist, und von den strapaziösen Anforderungen an diesen Berufsstand -, und so verbringe ich einen kurzweiligen Abend in Frankfurt.

Sicher war die Messe auch eindrucksvoll und hielt inspirierende Momente bereit, und ich habe es genossen, mich dort als Teil in der Menge produzieren zu können, aber auf der anderen Seite ist das doch alles auch irgendwie business as usual, insofern als jeder Beteiligte in seiner zugewiesenen Rolle funktionieren muss oder möchte. Deshalb war die Begegnung in dem Lokal in der Alten Gasse, die es mir unverhofft ermöglicht hat, buchstäblich ein wenig über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und eine fremde Kultur ein bisschen zu begreifen, dann doch der tiefste und nachhaltigste Eindruck meiner Reise und gewissermaßen Urlaub von Europa mitten in Frankfurt.