Im (ausge)siebten Himmel
The Lobster von Yorgos Lanthimos
Wir sind natürlich wirklich so. Man würde zwar auch damit durchkommen, sich hinter Begriffen wie „Dystopie“ und „Satire“ wegzuducken, und könnte sich die Zumutungen der in diesem Film präsentierten (je nach Gemüt: traurigen) Wahrheit schenkelklopfend vom Leib halten, aber dabei handelte es sich letztlich nur um einstudierte sublimierte Abwehrmechanismen gegen die Bestie Mensch in uns. Ich habe mal von einer Studie gehört, in der nachgewiesen wurde, dass paarungswillige Froschweibchen sich signifikant zu solchen Männchen hingezogen fühlen, deren lautes und sonores Quaken schon aus der Ferne einen entsprechend kräftigen Körperwuchs signalisiert. Getestet wurde das mit Tonbandaufnahmen unterschiedlicher Froschstimmen, die per Lautsprecher im Biotop angeboten wurden. Außer den Weibchen haben die attraktiven Stimmen aber auch Männchen angelockt, die spitzgekriegt haben, dass da gar kein Rivale aus Fleisch und Blut am Werke ist und sie also in der Nähe des Lautsprechers bequem zurückgelehnt und ohne eigene Anstrengung die ein oder andere Partnerin abstauben können, die sich liebestoll und von dem Soundangebot gefügig gemacht dort einfindet. Auch so geht survival of the fittest. Also: natürlich würden auch wir Menschen wie im Film Nasenbluten respektive Gefühlskälte simulieren, wenn wir dadurch einen erwünschten Paarungserfolg begünstigen könnten.
So viel zum wahren Kern dieses außergewöhnlichen Films „The Lobster“. Die Gesellschaft, unter deren Bedingungen sich hier Partnersuche bzw. die Verweigerung derselben entfaltet, ist aber nichtsdestotrotz satirisch überspitzt und dystopisch: Wer durch Tod des Partners oder Trennung sich als alleinstehend wiederfindet, wird umgehend interniert in einer Art Club-Urlaub mit unaufhörlicher Singleparty und bekommt 45 Tage Zeit, sich dort neu zu verlieben. Gelingt das nicht, ist das Leben verwirkt – zumindest das als Mensch, denn nach Ablauf der Frist erfolgt die Zwangstransformation zu demjenigen Tier, das man bei seiner Einweisung als Wunschexistenz im Falle eines Misserfolgs angegeben hat. Immerhin hat man noch die Chance, die Dauer des Aufenthalts im Hotel und damit die Partnersuche zu verlängern, wenn man Erfolg bei der Jagd auf die „Loners“ hat – diese bilden eine dissidente und vom Mainstream normativ zum Abschuss freigegebene Alternativgesellschaft von Onanisten im Wald, bei denen wiederum jede Form von Flirt und Paarungsabsicht verpönt ist und bestraft wird. Im Hotel ist umgekehrt (selbstredend) Masturbation unter Strafe gestellt, während die Insassen gleichzeitig durch den Zimmerservice systematisch sexuell angetörnt werden, um durch die unbefriedigte Erregung den Leidensdruck und damit letztlich die Motivation bei der Partnersuche anzustacheln – sozusagen zur Steigerung der Erfolgsaussicht. Angesichts solch harter Bedingungen fragt der Lobster-Anwärter David beim Einchecken zur Sicherheit noch einmal nach, ob eine „bisexual option“ verfügbar sei – denn das würde ja rein rechnerisch die Aussicht auf einen Paarungserfolg erhöhen. Eine solche gibt es aufgrund verwaltungstechnischer Probleme jedoch nicht mehr, und so muss sich David voll und ganz darauf konzentrieren, in der einmal aktenkundig gewordenen heterosexuellen Orientierung zu reüssieren, um dem Hummerschicksal zu entgehen.
Salvador Dalí: Hummer- oder Aphrodisisches Telefon (1936)
In der Rolle des David brilliert Colin Farrell mit einem unnachahmlichen Mienenspiel, das die Groteske der fiktiven Welt perfekt widerspiegelt. Während sich in dem Animationsprogramm des Hotels eine Absurdheit an die andere reiht, jede noch unwahrscheinlicher als die vorherige (herrlich die Rollenspiele zur Veranschaulichung der Vorzüge des Paarlebens), bleibt Davids Mimik indifferent konzentriert und schicksalsergeben – und gleichsam genauso hündisch wie die seines Bruders, der das Programm schon erfolglos durchlaufen hat und ihm nun nur noch in Gestalt des treuen Vierbeiners zur Seite stehen kann. Grandios auch Farrells Darbietung von halb unterdrücktem kindlichen Zorn, in den David verfällt, als er erfährt, dass seine spätere Partnerin (kongenial verkörpert von Rachel Weisz) ihrer eine mögliche Paarbeziehung in Normalität rechtfertigenden Gemeinsamkeit beraubt wurde.
Überhaupt ist die Rolle der Gemeinsamkeit in der hier entworfenen Gesellschaft bemerkenswert. Natürlich gilt auch in unserer Lebenswirklichkeit ein „Gleich und gleich gesellt sich gern“ sowie das (unterschwellig narzisstische) Phänomen, dass wir uns umso eher in einen Menschen verlieben, je mehr von uns selbst wir in ihm wiederzufinden meinen, aber in der Lobster-Welt wird das gleichsam zum unabdingbaren Ausweis der Zusammengehörigkeit. Hier wird ein Paar offenbar nur dann von der Gesellschaft akzeptiert, wenn es eine handgreifliche Gemeinsamkeit (z.B. Anfälligkeit für Nasenbluten, Gehfehler oder Kurzsichtigkeit) vorweisen kann. Und so gilt es als schweres Vergehen, das hart bestraft wird, wenn eine solche paarbildende Gemeinsamkeit von einem Beteiligten nur fingiert wird, um der Transformation zum Tier zu entgehen (wie es sowohl David in Form von Gefühlskälte als auch der Limping Man mit dem Nasenbluten praktizieren). Die Notwendigkeit der evidenten Gemeinsamkeit als Grundlage der Paarbeziehung führt im Film letztlich sogar zu einem hochdramatischen Showdown, der zusammen mit dem Protagonisten auch dem Zuschauer einiges abverlangt aber der hier nicht weiter vorweggenommen sein soll.
Der dramatische Aspekt wird schon im Laufe des Films immer wieder durch den Einsatz von Musik akzentuiert, die quasi plakativ auf die Traditionen von Suspense oder Horror anspielt. Diese Bezugnahme ist aber als parodistisch zu werten, denn durch die radikal groteske Überzeichnung sowie eine regelrechte Lawine von Absurditäten, insbesondere in den (Flirt-)Dialogen, überwiegt letztlich Komik als Haupteindruck, der nicht zuletzt durch das bereits hervorgehobene Mienenspiel des Hauptdarstellers Farrell mitgetragen wird. Ein teilweise makabrer aber köstlich unterhaltsamer Spaß und fulminanter Genremix, der nicht ohne Grund mit zahlreichen Preisen (u.a. in Cannes) ausgezeichnet wurde und unbedingt zum Anschauen zu empfehlen ist.